Wie viel Video­überwachung im Mehrfamilien­haus ist erlaubt?

Wohnungseigentümer und Vermieter können nicht ohne Weiteres eine Überwachungskamera im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses installieren. Welche Regeln gelten? Was müssen Mieter, Miteigentümer oder Nachbarn dulden? So haben die Gerichte entschieden.

Die Installation von Überwachungskameras an oder in einem Mehrfamilienhaus kann grundsätzlich nicht gegen den Willen der Mieter oder Wohnungseigentümer eingebaut werden – auch das Argument Präventivschutz gegen Einbrüche oder Vandalismus zieht nicht zwingend. Oft gibt es mildere Mittel der Wahl: Von nächtlicher Beleuchtung bis zum Kontrollgang durch den Hausmeister. Unter bestimmten Bedingungen lassen die Gerichte aber auch Videokameras gegen den Willen der Mieter zu.

Überwachungskamera im Eingangsbereich
Eine Videoüberwachung von Mehrfamilienhäusern ist nur zulässig, wenn alle Bewohner einverstanden sind, hat das Amtsgericht (AG) Schöneberg entschieden. Wenn nur ein Mieter nicht einverstanden ist, darf der Vermieter keine Kamera installieren lassen. Das gelte auch für Anlagen, die noch nicht in Betrieb sind. Die Mieter könnten sich durch die Kamera im privaten Bereich nicht mehr ungestört und unbeobachtet fühlen, begründete das Gericht die Entscheidung. Auch eine nicht aktivierte Kamera verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Mieter können die Videoüberwachung durch den Vermieter mit einer einstweiligen Verfügung untersagen lassen.
(AG Schöneberg, Urteil v. 8.6.2012, 19 C 166/12)


Dass die pauschale Videoüberwachung des Eingangsbereichs eines Mietshauses eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Mieter darstellt, befand auch das Landgericht (LG) Berlin. Im vorliegenden Fall wurde die Kamera installiert, um Sachbeschädigungen und Schmierereien an der Hauswand zu verhindern. Die Mieter konnten den Abbau der Überwachungskameras im Eingangsbereich verlangen.
(LG Berlin, Urteil v. 31.10.2000, 65 S 279/00)


Überwachungskamera: Was ist mit Attrappen?
Selbst der Installation einer Attrappe kann vor Gericht eine Absage erteilt werden. Nach Ansicht des Amtsgerichts (AG) Berlin-Lichtenberg stellt schon allein die damit verbundene Androhung der Überwachung der Mieter im Eingangsbereich eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit dar.
(AG Lichtenberg, Beschluss v. 24.1.2008, 10 C 156/07).


Videoüberwachung eines Grundstücks
Bei der Videoüberwachung auf einem privaten Grundstück muss sichergestellt sein, dass weder der öffentliche Bereich noch das private Nachbargrundstück oder der gemeinsame Zugang erfasst werden. Ausnahme: Wenn im Einzelfall das Interesse am Schutz des Eigentums überwiegt, kann eine Erfassung dieser Bereiche zulässig sein. Die Eigentümer im Nachbarhaus müssen das dulden, hat das Amtsgericht (AG) München entschieden. Die Kamera erfasste hier den Eingangsbereich des Grundstücks des Nachbarn und einen schmalen Streifen des Gehwegs vor dem Grundstück.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Nachbarn am Schutz seines Eigentums das Persönlichkeitsrecht der klagenden Eigentümerin überwiegt, zumal der Erfassungsbereich vom Landesamt für Datenschutzaufsicht geprüft und als vertretbar erachtet worden war. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Sachbeschädigungen stattgefunden haben. Ein Anspruch auf Entfernung einer Kamera kann auch bestehen, wenn eine Person ernsthaft befürchten muss, damit überwacht zu werden. Die hypothetische Möglichkeit reicht jedoch nicht aus, eine Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzunehmen.
(AG München, Urteil v. 20.3.2015, 191 C 23903/14)
Ähnlich entschied das Amtsgericht (AG) Berlin-Spandau: Montieren Hauseigentümer eine Überwachungskamera vor ihren Hauseingang, darf diese das Nachbarhaus nicht miterfassen.
(AG Spandau, Urteil v. 6.1.2004, 5 C 557/03)


Videoüberwachung: Zustimmung aller Parteien
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) sind nicht immer alle Parteien einer Meinung, das muss auch nicht bei allen Vorgängen sein. Wenn aber durch eine mehrheitliche Entscheidung wesentliche Rechte eines Einzelnen beeinträchtigt oder verletzt werden, braucht es die Einstimmigkeit dann doch, zeigt eine Entscheidung des Landgerichts (LG) München I, auf die die Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein verweist.
In einem Mehrfamilienhaus kam es immer wieder zu Verstößen gegen die Hausordnung. Unter anderem hielten sich fremde Personen im Hauseingang auf. Mehr als 90 Prozent der Eigentümer sprachen sich für eine Videoüberwachung aus: In dem Haus wurden fünf Kameras angebracht und auf die Überwachung mit Schildern hingewiesen. Ein Bewohner klagte dagegen und forderte die Beseitigung der Anlagen. Das Gericht gab dem Kläger recht.
Nach Ansicht des Gerichts ist es ausreichend, wenn sich nur ein Bewohner gegen die Überwachung wehrt. Die geschilderten Verstöße rechtfertigten nicht, entgegen dem Willen eines Einzelnen zu handeln. In diesem Fall seien etwa regelmäßige Kontrollgänge eines Hausmeisters ein geeigneteres und milderes Mittel. Anders hätte es ausgesehen, wenn mit der Überwachung Straftaten hätten verhindert werden sollen. Dann hätte sich die Mehrheit nach Ansicht des Gerichts über die Einzelmeinung hinwegsetzen können.
(LG München I, Hinweisbeschluss v. 07.06.2022, 14 S 2185/22)

Videoüberwachung der Tiefgarage einer WEG
Wird die Tiefgarage einer WEG überwacht, verstößt dies gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Eigentümer – auch wenn es zuvor Diebstähle, Autoaufbrüche und Sachbeschädigungen gab, können die Wohnungseigentümer die Videoüberwachung nicht mehrheitlich beschließen, hat das Landgericht (LG) München entschieden. Mehrere Miteigentümer hatten den Beschluss angefochten und bekamen Recht. Hier brauchte es die Einstimmigkeit.
Eine Kameraüberwachung und Videoaufzeichnung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Anfechtungskläger dar, so das Gericht. Die Beeinträchtigung entfällt auch nicht dadurch, dass die Aufnahmen nur nach einem Schadensfall eingesehen werden können. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiegt gegenüber dem Schutz des Eigentums der anderen Eigentümer. Um potenzielle Täter abzuschrecken, reicht es demnach aus, Hinweisschilder auf eine Videoüberwachung sowie Kameraattrappen anzubringen.
(LG München I, Beschluss v. 11.11.2011, 1 S 12752/11 WEG)

Kamera zur Überwachung im Treppenhaus
Die Videoüberwachung durch eine im Hauseingangsinnenbereich (hier: Treppenhaus im Erdgeschoss) eines Mietobjekts angebrachte Kamera stellt – unabhängig davon, ob eine Speicherung der Aufnahmen erfolgt – einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht des Mieters sowie in dessen Besitzrecht an der gemieteten Wohnung dar.
(AG München, Urteil v. 16.10.2009, 423 C 34037/08)

Videoüberwachung: Kamera im Aufzug
In einem Fall, den das Landgericht (LG) Berlin verhandelte hatte der Vermieter Überwachungskameras im Treppenhaus und im Aufzug installieren lassen, nachdem es zuvor unter anderem zu Vandalismus gekommen war. Nach dem Einbau einer neuen Schließanlage klagte ein Mieter auf Beseitigung der Videokameras und bekam Recht: Durch die Überwachung würden die Persönlichkeitsrechte des Mieters eingeschränkt, urteilten die Richter.
(LG Berlin, Urteil v. 23.5.2005, 62 S 37/05)
Eine ähnliche Auffassung vertrat das Kammergericht (KG) Berlin in einem Fall: Hier ging es nur um eine Überwachungskamera, die im Aufzug eines Miethauses eingebaut werden sollte, nachdem im Lift Schmierereien gefunden wurden. Auch wenn es zu Vandalismus gekommen ist, bekam der Eigentümer nicht das Recht, eine Kamera zu installieren. Der Mieter müsse dem Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte nicht zustimmen, urteilten die Richter.
(KG Berlin, Urteil v. 4.8.2008, 8 U 83/08)

Gemeinschaftswaschküche mit Videoüberwachung
Ein Eigentümer hat nach Auffassung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln ein anzuerkennendes berechtigtes Interesse daran aufzuklären, wer für Beschädigungen an einer Waschmaschine in der Gemeinschaftswaschküche verantwortlich war. Grundsätzlich kann auch das Interesse an der Aufklärung einer bereits geschehenen Straftat oder Rechtsverletzung im Einzelfall den mit einer verdeckten Videoüberwachung verbundenen Eingriff in Persönlichkeitsrechte rechtfertigen, heißt es in dem Urteil. Voraussetzung sei, dass es sich um eine erhebliche Straftat handelt, deren Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen mindestens gleichkommt – und dass die Videoüberwachung geeignet ist, hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Verantwortlichen bereits begangener Straftaten und Rechtsverletzungen zu liefern.
Die permanente und heimliche Videoüberwachung einer Gemeinschaftswaschküche war im vorliegenden Fall trotz früherer Beschädigungen an der Waschmaschine unzulässig.
(OLG Köln, Urteil v. 5.7.2005, 24 U 12/05)

Kamera in Klingelschild und Gegensprechanlage
Um eine Kleinstkamera zur Überwachung im Klingeltableau einer WEG-Anlage ging es vor dem Kammergericht (KG) Berlin: Das ist unzulässig, wenn die Bilder ohne technische Beschränkungen ins interne Fernsehnetz eingespeist werden können, zu dem die anderen Eigentümer und Mieter privat Zugang haben und die Daten auswerten könnten. Diese permanente Überwachung verstößt unter anderem gegen das Persönlichkeitsrecht.
(KG Berlin, Beschluss v. 26.6.2002, 24 W 309/01)

Eine Videoüberwachung im Eingangsbereich einer Wohnungseigentumsanlage ohne technische Beschränkung ist laut dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) zulässig, wenn Miteigentümer, Mieter oder Besucher nur in den Wohnungen identifiziert werden können, die an die Videoüberwachungsanlage angeschlossen sind und deren Klingel betätigt wurde.
(BayObLG, Beschluss v. 21.10.2004, 2 ZBR 124/04)